Stille Macht! Heimliche Macht!
Das mutmaßlich bekannteste Weihnachtslied der Welt, „Stille Nacht! Heilige Nacht!“, erklang am Weihnachtsabend vor genau 200 Jahren in Oberndorf bei Salzburg zum ersten Mal. Dieses Jubiläum wurde 2018 in Salzburg ausgiebig gefeiert – unter anderem mit einer dezentralen Landesausstellung an neun Standorten. Weil, so der vollmundige Ausstellungstext: „Dieses besondere Lied ist Teil des kollektiven Gedächtnisses, der Identität des Landes Salzburg, Europas und jener der ganzen Welt.“
Und nachdem Tirol Teil dieser ganzen Welt ist, gibt es auch einen Ausstellungsstandort in Fügen im Zillertal. Schließlich haben Sänger und Wanderhändler aus dem Zillertal zur Verbreitung dieses weihnachtlichen Exportschlagers beigetragen. So weit, so nachvollziehbar – 200 Jahre „Stille Nacht“ ist ein wunderbarer Aufhänger für Salzburgs Tourismusmarketing.
Was aus Tiroler Sicht überrascht, ist, dass die Tiroler Landesregierung das Weihnachtslied aus dem Salzburgischen für „Tirols Identität” dermaßen hoch einschätzt, dass sie für das Jubiläum unterschiedlichste (volks)kulturelle Aktivitäten im Wert von nahezu 1,5 Millionen Euro beschließt. Davon kommen 600.000 Euro von der öffentlichen Hand, nicht aus dem Kultur- aber doch aus dem Landesbudget. Ungewöhnlich ist auch die Vorgangsweise: Entgegen der allgemein geltenden Förderrichtlinien des Landes lässt sich die Landesregierung im Oktober 2018 in einem nachträglichen Regierungsbeschluss die Subvention absegnen.
Die Opposition schäumt. Und „kleine” Kunst- und Kulturschaffende, die sich jährlich neu um vergleichsweise geringe Beträge bemühen müssen (bevor sie ein Vorhaben starten), staunen, was alles möglich ist. Für sie stellt sich einmal mehr die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Ein Vergleich: Im Jahr 2017 standen allen Kulturinitiativen und Kulturzentren des gesamten Bundeslandes rund 1,2 Millionen Euro an Landesmitteln zur Verfügung - also gerade einmal doppelt so viel wie für das Jubiläum von „Stille Nacht”. Es sind Kultureinrichtungen, die mit viel Engagement und unbezahlter Arbeit kontinuierlich für die kulturelle Nahversorgung im Land stehen, die Zeitgenössisches produzieren und vermitteln und dem künstlerischen Nachwuchs erste Bühnen bieten.
Sie wünschen sich seit (nicht ganz 200) Jahren eine wertschätzende Wahrnehmung ihrer Arbeit, die sich auch materiell niederschlägt und die vielfach prekären Arbeitsbedingungen verbessert. Ein frommer Wunsch an's Christkind?