Das Künstler*innenkollektiv HB & Töchter brachte am 25.5.2024 eine Theaterintervention in der Viehversteigerungshalle RGO Arena Lienz zur Aufführung. Das im Rahmen von TKI open 24_die Fühler ausstrecken geförderte Projekt beschäftigte sich transdisziplinär mit dem Zusammenleben von Mensch und Rind. Ein Abend an der Grenze zwischen Theaterabend und Volksfest inklusive Traktorenballett sollte spielerisch einen Perspektivenwechsel ermöglichen, ohne das Gemeinschaftsgefühl aus den Augen zu verlieren.
Unser gemeinsames Österreich
Traktoren schleichen um die Wette tanzen
etwas zu laut
etwas zu grell
etwas zu ungestüm
Es ist etwas unbeholfen und sperrig in unserem gemeinsamen Österreich. Irgendetwas machen wir falsch, aber es wird uns nicht ganz klar, was.
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Was eigentlich
bewegt junge Künstler:innen aus Dörfern dazu, in Städte zu gehen, sich zu bilden und überbilden, um wieder ans Land zu gehen und Kunst für Menschen zu machen, die vermutlich eine Idee von Leitkultur haben, die sie nicht beinhaltet? Dieses ortsspezifische Arbeiten mit Menschen, die ihren Ort nicht mit dem Spezifischen vereinen möchten, das an sie herangetragen wird. So viel Mühe, Zeit, Unverständnis, Frustration und dann underwhelmed von der oftmals ausbleibenden Reaktion des Zielpublikums.
Wieso das Ganze?
Wieso nicht einfach Kunst machen an Orten, die sich füllen mit Menschen, die wir erwarten und größtenteils mögen, mit denen wir diskutieren können in unseren Begriffen und Konzepten und Referenzen, die unsere Stücke einordnen in einen Kanon, uns wieder zur Referenz machen für andere Stücke und Arbeiten und Werke. Es wäre so viel
bequemer?
Und dann gibt es zum Beispiel Kühe.
Tiere und unsere Beziehungen zu ihnen
Eine Arbeitsbeziehung
naja, Massentierhaltung
von der wir in den Städten dann doch erstaunlich wenig mitbekommen. Weil wir ja nicht in der Landwirtschaft arbeiten und dementsprechend doch wenig vor Ort mit den Tieren zu tun haben. Vielleicht hatten wir mal mehr mit ihnen zu tun
in einer vergangenen Zeit
in der wir anders gelernt haben
und unsere Aufmerksamkeit vermutlich anders funktioniert hat. Stell dir vor
die Bäuerin versteht ihre Kühe und ihr Verhältnis zu ihnen besser als du
absurd, oder? Wie kann sie denn trotzdem? arbeiten
Stücke wie Rindsrevue sind Stücke, die sich diesen teils unangenehmen Fragen stellen. Und
dastehen, nackt und kantig und
doch versöhnlich, weil angewiesen
auf einen Dialog.
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Denn Anschreien ist eine bequeme Position. Ein fiktives Beispiel: Fleischessen ist böse, weil Tierquälerei und alle Beteiligten sind des Teufels und wir müssen alle vegan leben, weil es um die Würde der Tiere geht. Und ihr seid schuld, weil ihr Fleisch
– Dieses Beispiel gibt es in verschiedenen Ausführungen, die Wut ist dieselbe. Oder dann anders, à la Rindsrevue:
Eine eineinhalbstündige Abhandlung über unsere Beziehung zu Rindern, die mit Fleischpralinen an Zahnstochern auf dem Silbertablett serviert vom lokalen Metzger endet, einem Metzger, der sie mit Stolz und Hingabe den Darsteller:innen und Publikum anbietet, die sie mit einer ehrlichen Dankbarkeit annehmen und verschlingen.
Letzteres, ein Schreien aus Verzweiflung und Wut, das nicht in die Bequemlichkeit fällt, ausschließlich andere dafür verantwortlich zu machen, ist komplexer. Und kann eine unheimliche Schönheit auslegen
ein Anblick wie Medusas Haare oder
zwei Darstellerinnen und eine Flex, die sich durch einen ausgeschlachteten Rindskörper aus Plastik frisst,
während eine Trompete um ihn trauert
und plötzlich wird klar
VIEL ZU GROB
ist alles. Und wir sind mittendrin. Und diese Menschen, mit denen wir nicht reden, auch.
Also sag mir doch
wie kommen wir hier raus?
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Ich glaube den Künstler:innen, die sich entscheiden Kunst an Orten zu machen, die ihnen nicht wohlwollendes Interesse beimessen, dass sie einen Dialog suchen. Es hat schon etwas von:
Ich will wirklich mit dir reden
aber hör mir in meiner Sprache zu
die Kunst ist –
kommt auch vor in der Leitkultur, ja
aber finden dort Dialoge statt?
Vielleicht steckt eine tiefe Überzeugung, so etwas wie
Kunst ist wichtig
oder
Kunst kann die Welt verändern
oder
Leitkultur ist ein Schimpfwort
dahinter
und lässt uns darauf beharren
entgegen jedem besseren Wissen
in dieser Ausdrucksform den Austausch zu suchen.
Irgendwo zwischen Bühne und Fleischpralinen stehen wir also alle verlegen und vertreten uns die Füße in den Holzspänen, während wir an einer Kultur der Ausbeutung und Ausgrenzung beteiligt sind, die wir uns alle einzeln so nicht wünschen würden.
Das passiert, wenn Künstler:innen an Kühe denken
und dabei kommen Fragen auf
vielleicht: Wie stellt man Gewalt dar, die nicht wahrgenommen wird, ohne sie zu reproduzieren?
oder: Wie mit Kompliz:innenschaft umgehen?
oder: Wann wurden die wirtschaftlichen Strukturen, in denen wir uns bewegen, so übermächtig?
In den Antworten dazu verstricken wir uns in Widersprüchen
und noch mehr Fragen. Es sind Dinge, die auf Bühnen verhandelt werden können
und abseits davon. Zum Beispiel in den Gesprächen mit Menschen, die nicht dabei wären, wenn das Stück in der Stadt aufgeführt werden würde.
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«Unsere Rinder zeichnen sich durch ihre gute Milchleistung und Führigkeit aus.»
Stell mich auf die Waage und sag mir
wie viele Euro bin ich wert
in unserem gemeinsamen Österreich
heute
Grace Oberholzer *1994
aus Zürich. Sie schreibt viele traurige Texte über traurige Menschen, ist aber in Wien oft sehr glücklich. Zurzeit arbeitet sie an ihrem Debutroman «Loin si Proche» (AT), für den sie 2023 das Startstipendium des Landes Österreich erhielt.
bis 13.10.2024 Projekte einreichen
TKI - Tiroler Kulturinitiativen
Dreiheiligenstraße 21 a
c/o Die Bäckerei
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten:
MO-DO: 9 - 12 Uhr, DI: 14 - 16 Uhr
und nach Vereinbarung
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