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Kultur ist Arbeit – Arbeit verdient Geld

Kultur ist Arbeit – Arbeit verdient Geld

verfasst von Helene Schnitzer
Beitrag vom 02.08.2021
Plakataktion SOKU
© David Steinbacher

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, wusste schon Karl Valentin. Angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kulturbereich könnte man das Zitat erweitern: viel Arbeit, aber wenig Geld.

Claudia S.[1] ist Musikerin, Spezialistin für Alte Musik mit einschlägigem Studienabschluss. Sie spielt in international renommierten Ensembles. Nach einem Konzert bei den Salzburger Festspielen beugt sich eine Besucherin in den Orchestergraben, um ihr zu gratulieren und ein wenig zu plaudern. Am Ende der Unterhaltung fragt sie Claudia S., was sie denn eigentlich beruflich mache.

Was sich wie ein Scherz anhört, erleben Menschen im Kunst- und Kulturbereich immer wieder. Kann denn Kunst ein ernstzunehmender Beruf sein? Noch immer ist die Vorstellung weit verbreitet, dass eine künstlerische Tätigkeit mehr ein Hobby ist als professionelle Arbeit, die auch angemessen zu bezahlen wäre. Selbst in Kulturämtern trifft man diese Meinung an und viele Förderinstrumente gehen davon aus, dass künstlerische Leistungen „ehrenamtlich“, also unbezahlt zu erbringen sind. Ja, es gibt freiwilliges Engagement im Kultursektor, aber in nicht staatlichen Kulturbetrieben und unter Freiberufler*innen ist „unfreiwilliges Ehrenamt“ weit verbreitet.[2] Eine schlecht oder unbezahlte Arbeit gilt gesellschaftlich als nicht vollwertig – ein Grund für die latente Abwertung von Kulturarbeit. Hier schließt sich der Kreis.

Bereits 2005 hat die battlegroup for art, ein Zusammenschluss von kulturellen Interessensgemeinschaften in Innsbruck, in einer öffentlichen Plakataktion auf das fehlende Bewusstsein von Kulturarbeit als Arbeit hingewiesen. © Patrick Baumüller

Das Berufsbild der „Künstler*in“ oder „Kulturarbeiter*in“ ist offenbar diffus und wahrscheinlich haben die meisten Menschen keine Vorstellung davon, wie prekär die Arbeits- und Lebensbedingungen in diesem Feld sind. Was für 98 % der Angestellten in Österreich selbstverständlich ist, nämlich Kollektivverträge, die Standards wie Mindestlöhne, Vorrückungen oder Zulagen garantieren, gibt es für die Kulturbranche bis auf wenige Ausnahmen nicht. Selbst in den staatsnahen Kulturbetrieben sind Kollektivverträge nicht selbstverständlich.[3] Dieses Manko begünstigt zum einen eklatante Gehaltsunterschiede zwischen dem Führungspersonal und den Mitarbeiter*innen und zum anderen eine Zementierung des Gender-Pay-Gap. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen ist im gesamten Kultursektor stark ausgeprägt.[4]

Die wirklichen „Underdogs“ sind die in der freien Szene tätigen Künstler*innen, Autor*innen, Kurator*innen, Kulturvermittler*innen oder Mitarbeiter*innen in gemeinnützigen Vereinen. Die 2020 veröffentlichte WIFO-Studie zur ökonomischen Bedeutung der Kulturwirtschaft und ihrer Betroffenheit in der COVID-19-Krise[5] warnt vor der Verfestigung einer „Zweiklassengesellschaft“ im Kultursektor. Während Angestellte in den teilstaatlichen „Tankern“ abgesichert sind, wenn auch zum Teil auf niedrigem Niveau, haben Freiberufler*innen oft keinen Zugang zu sozialer Absicherung. Die freie Kulturszene ist heterogen und geprägt von einem hohen Anteil an Selbständigen mit sehr geringem Einkommen. 96,4 % der in der WIFO-Studie erfassten Unternehmen sind Mikrounternehmen, zumeist EPUs. Das heißt in der Praxis: Viele werden in die „Scheinselbständigkeit“ gedrängt, weil kleinere Theater, Ausstellungshäuser, Kulturvereine oder Kunstprojekte hoffnungslos unterdotiert sind und sich Anstellungen schlicht und einfach nicht leisten können.

Die typische Beschäftigungsform der freien Szene ist atypisch: Teilzeit und Geringfügigkeit. Eine Kombination aus selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit mit der Verpflichtung zu Mehrfachversicherungen. Freie künstlerische Arbeit, finanziert durch oft schlecht bezahlte Brotjobs. Diskontinuierliche Arbeitsverhältnisse mit Lücken von Erwerbslosigkeit zwischen Engagements oder Projekten mit der Folge, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nie erreicht wird. Unregelmäßiges, kaum planbares Einkommen und mangelnde soziale Absicherung im Krankheitsfall. Wer ein Leben lang so arbeitet, schlittert von einem prekären Erwerbsleben nahtlos in die Altersarmut. Das zeigt auch die 2018 veröffentlichte Studie zur sozialen Lage der Kunstschaffenden und Kulturvermittler*innen in Österreich.[6] Die Hälfte der Befragten verdient mit künstlerischer Tätigkeit weniger als 5.000 Euro netto im Jahr. Rund ein Drittel ist akut armutsgefährdet und das bei einem überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad, denn 58 % der Befragten verfügen über einen fachbezogenen akademischen Abschluss.

Was bei derart prekären Einkommensverhältnissen in einer Notsituation wie der Corona-Krise passiert, liegt auf der Hand. Von einem Tag auf den anderen sind Auftritte und Engagements weggebrochen. Es wurden Verträge mit Verweis auf höhere Gewalt aufgelöst und Aufträge abgesagt. Eine aktuelle Erhebung zu den Auswirkungen der Corona-Krise[7] auf besonders vulnerable Personengruppen legt einen Fokus auf den freien Kulturbereich und spricht von „missachtenden, existenz-gefährdenden und daher verletzenden Arbeitsbedingungen in normalen Zeiten“ und kommt zu dem Schluss: Wer vor der Krise armutsgefährdet war, ist es seit Corona umso mehr.

„Wer am Markt vorbei arbeitet, wie ein Pelzhändler in der Sahara muss mit Schwierigkeiten rechnen.“ [8]

Sind Kunstschaffende also selbst schuld an ihrer Misere, wenn sie ihre künstlerische Produktion nicht auf Angebot und Nachfrage ausrichten? Dieser Haltung liegt ein fundamentales Missverständnis über Bedeutung und Funktion von Kunst- und Kulturarbeit zugrunde. Die in der österreichischen Verfassung verankerte „Freiheit der Kunst“ ist untrennbar mit ihren Produktionsbedingungen verbunden. Die Ökonomisierung des Kunst- und Kulturschaffens widerspricht der Kunstfreiheit und dem staatlichen Bildungsauftrag. Kunst und Kultur sind Teile des Gemeinwesens wie Bildung oder Wissenschaft. Nie würden wir von Lehrer*innen, Beamt*innen, Universitätsprofessor*innen und anderen Berufsgruppen des öffentlichen Interesses erwarten, sie mögen sich selbst finanzieren und ihre Leistungen nach den Ansprüchen „des Marktes“ gestalten. Die staatliche Selbstverpflichtung, ein diverses Kunst- und Kulturschaffen zu ermöglichen, ist eine kollektive Investition in die kreative und intellektuelle Infrastruktur der Gesellschaft.

Mit dem kürzlich begonnenen Fairness- und Fair-Pay-Prozess [9] übernimmt die Kulturpolitik in Österreich erstmals ansatzweise Verantwortung für die Umsetzung fairer Rahmenbedingungen für Kulturarbeit. Aber nicht nur im Kultursektor muss Arbeit neu gedacht werden. Die klassische Erwerbsbiografie des letzten Jahrhunderts gibt es kaum noch und die Zahl derer, die von prekärer Beschäftigung und Armut betroffen sind, wächst kontinuierlich. „Wir kennen faire Kleidung, wir kennen faire Bananen, wir kennen Fairtrade Kaffee“ [10], da sollte es doch auch möglich sein, allen Menschen in diesem Land faire Arbeitsbedingungen zu garantieren.

Der Beitrag erschien ursprünglich im Magazin WISO, dem Magazin für Wirtschaft und Statistik der Arbeiterkammer Tirol (Ausgabe #2 Juni 2021).

Anmerkungen und Quellen

[1] Name geändert

[2] Für Tirol gibt es keine Zahlen, aber für Wien hat 2019 eine Studie errechnet, dass im Bereich Kunst und Kultur ca. 470.000 Wochenstunden ehrenamtlich geleistet werden mit einem ökonomischen Wert von 820 Mio. Euro pro Jahr, müssten sie vom Arbeitgeber ersetzt werden. https://www.wien.gv.at/wirtschaft/standort/pdf/studie-ehrenamt-2019.pdf; Zugriff: 19.5.2021

[3] Während es für die Bundestheater einen Kollektivvertrag gibt, kämpfen die Bundesmuseen noch darum. https://www.derstandard.at/story/2000126268472/das-zaehe-ringen-der-museumsmitarbeiter-um-einen-kollektivvertrag?ref=article; Zugriff: 19.5.2021

[4] Siehe dazu u.a.: Österr. Film Gender Report 2017; https://filminstitut.at/institut/gender/gender-report; Zugriff: 19.5.2021

[5] Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) im Auftrag des BMKÖS; https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Neuigkeiten/StudieCOVID.html; Zugriff: 20.5.2021

[6] Studie im Auftrag des BMUKK; https://www.bmkoes.gv.at/Service/Publikationen/Kunst-und-Kultur/berichte-studien-kunst.html; Zugriff: 20.5.2021

[7] Erhebung der Österreichischen Armutskonferenz: Armutsbetroffene und die Corona-Krise, 2020; https://www.armutskonferenz.at/news/news-2020/erhebung-armutsbetroffene-und-die-corona-krise.html; Zugriff: 21.5.2021

[8] Solche Kommentare sind in Foren zu lesen, wenn es um die prekäre Situation der Kunstschaffenden geht: https://www.derstandard.at/story/2000078788073/kulturprekariat-1-000-euro-und-ein-leben-fuer-die-kunst; Zugriff: 21.5.2021

[9] Nach 10 Jahren Fair Pay-Kampagne der IG Kultur Österreich hat das Thema erstmals Eingang in ein Regierungsprogramm einer Bundesregierung gefunden. https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Neuigkeiten/Fairness-Prozess.html; Zugriff: 22.5.2021

[10] Zitat einer Künstler*in in der Erhebung der Armutskonferenz 2020, Seite 12

Über die Autorin
Helene Schnitzer, geb. 1966, Studium der Kunstgeschichte, Postgraduate-Lehrgang Ausbildung zur Kuratorin im Museums- und Ausstellungswesen am Institut für Kulturwissenschaft in Wien. Seit 2000 Geschäftsführerin der TKI - Tiroler Kulturinitiativen.
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