Im Sommersemester 2023 haben Andrea Perfler und Helene Schnitzer an der Uni Innsbruck eine Lehrveranstaltung zum Thema „Kulturinitiativen in Tirol“ gehalten. Unser Anliegen war es, den Student*innen Grundkenntnisse über das Feld der Kulturinitiativen zu vermitteln, ihnen einen Einblick in die Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen der freien Kulturarbeit zu geben und sie für kulturpolitische Fragestellungen zu sensibilisieren. Für den Abschluss der LV mussten die Student*innen einen Blogbeitrag über eine Kulturinitiative in Tirol oder ein kulturpolitisches Thema nach Wahl schreiben. Einen Teil der Texte präsentieren wir hier auf der TKI-Webseite.
verfasst von Pius Hartmann
„Genauer hinsehen, was geschieht.“
(Ilse Aichinger, www.journalismusfest.org).
Unter diesem Motto stand das Journalismusfest Innsbruck, das vom 12. bis 14. Mai 2023 zum zweiten Mal in Innsbruck über die Bühne ging. Das Fest verwandelte die Stadt für drei Tage in einen Treffpunkt für internationale Journalist*innen, deren vielseitige Beiträge von Klimapolitik im Kongo und Investigativjournalismus in Malta bis hin zur Pressefreiheit in der Ukraine reichten. Ich war in einer Doppelrolle als Besucher und als Vertreter des Studierendenmagazins „Die Zeitlos“ vor Ort und möchte meine Eindrücke zum Festival schildern.
Das Journalismusfest Innsbruck feierte seine Premiere im Mai 2022 unter der Leitung von Benedikt Sauer und Markus Schennach. Als Vorbild diente das seit 2007 in Ferrara stattfindende, frei zugängliche Festival der lokalen Wochenzeitung „Internazionale“, mit welchem die Innsbrucker Organisatoren stets im engen Austausch standen. Anknüpfend an den Erfolg der Erstausgabe programmierten Benedikt Sauer und Veronika Vogel das Journalismusfest 2023 und wieder fanden sich Journalist*innen aus allen Ecken des Kontinents zum gemeinsamen Diskurs an einem frühsommerlichen Maiwochenende in der Alpenstadt ein.
Die Fülle an Programm wird durch Partnerschaften mit Medientitanen wie der APA, der „Zeit“, dem „Standard“ oder der „Internazionale“ ermöglicht, während Fördergeber*innen wie die Stadt Innsbruck, das Land Tirol, Tirol Tourismus oder die taz Panter Stiftung für die Finanzierung sorgen. Gleichzeitig setzt das Journalismusfest auch stark auf die Einbindung lokaler Kulturbetriebe wie dem Treibhaus, dem Kunstraum Innsbruck oder der Stadtbibliothek und freier Magazine wie dem 20er oder der Zeitlos. Das Festivalgelände breitet sich so über die gesamte Innenstadt aus, vom Sillpark über die Museumsstraße bis hin zur Universität.
Der Startschuss fällt am Freitag um 10:30 Uhr: Das Festival wird im Treibhaus, einem der Hauptschauplätze des Fests (1), mit einer Videobotschaft von Bundespräsident Alexander Van der Bellen feierlich eröffnet. Statements von Vertreter*innen der Universität und der Tiroler Politik folgen. Im Anschluss daran folgt eine Podiumsdiskussion mit einem polnischen Journalisten, der sich für Pressefreiheit in Polen und gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine einsetzt. Moderiert wird das Ganze von Nina Horaczek, der Chefreporterin des Falters, und so macht dieser Einstiegsbeitrag direkt klar, unter welchem politischen und brandaktuellen Stern die kommenden Tage stehen werden.
Ich bin als Teil des Studierendenmagazins Die Zeitlos vor Ort, das bereits letztes Jahr beim Festival vertreten war. Im Gegenzug für Reportagen zum Fest erhielten wir auch dieses Mal wieder einen Stand in der Maria-Theresien-Straße, den wir uns mit dem 20er und der taz teilen. Wir legen unsere drei letzten Printausgaben auf und haben darüber hinaus noch selbst designte Sticker, Poster und kleinere Goodies zur freien Entnahme im Angebot. Das Herzstück unseres Standes bildet die Schreibwand, auf der wir mit dem Satz „Ich hätte nicht gedacht, dass…“ eine Geschichte beginnen und Passant*innen zum Mitschreiben animieren wollen. Die Idee sollte schön aufgehen, so schreiben wir zusammen mit Zillertaler Hauptschüler*innen, pensionierten Innsbrucker*innen und dänischen Austauschstudent*innen fünf Plakate an Geschichten voll in diesen drei Tagen. Das Interesse an den Geschichten spiegelt sich auch im Interesse an unserem Magazin wider und wir können den exzellenten Standort gut dafür nutzen, um neue Leser*innen zu gewinnen.
Das soll jedoch nicht heißen, dass sich meine Festivalerfahrungen nur auf den Vertrieb von Zeitlos-Ausgaben und den Austausch mit den Redakteur*innen des 20ers und der taz beschränken: Sobald die Stände geschlossen sind, machen wir uns auf den Weg ins Treibhaus zum Reporter Slam. Wie fast jede Veranstaltung des Fests ist auch dieser gratis und bis auf den letzten Platz ausgebucht, wir erhalten die letzten Restkarten kurz vor Beginn des Slams. Bei diesem treten fünf deutschsprachige Journalist*innen aus Mitteleuropa auf, die ihre Reportagen möglichst unterhaltsam oder fesselnd, je nach der Schwere ihres Themas, an das Publikum bringen sollen. Es sei der erste transnationale Reporter Slam dieser Art, wie Moderator Jochen Markett, Mitbegründer und Organisator von Slams in ganz Europa, verkündet.
Dementsprechend hoch ist die Vielfalt der Beiträge, und die freiberuflichen Journalist*innen nehmen das Publikum mit auf ihre Nachforschungen zum vermeintlichen Bankkonto Orbáns in der Schweiz (wie sich herausstellt, hat er doch keines!), zu Tattoostudios und amerikanischen Freiwilligen in der Ukraine bis hin zum Underground-Wrestling in Wien. Die Beiträge sind auf zehn Minuten beschränkt und zeigen auf, wie man teils seichte, teils bedrückende Reportagen präzise in einer kurzen Zeit gut vermarkten kann. Der Sieg geht schlussendlich an den Südtiroler Journalisten Andrej Werth vom Südtiroler Wochenmagazin ff, der sich mit seinen Nachforschungen auf Klettersteigen und zur Serienbrandstiftung in einem unscheinbaren Dorf im Südtirol den lautesten Publikumsapplaus einfing.
Um 21 Uhr beginnt schließlich das Event, das viele Teilnehmer*innen später als den Höhepunkt des Wochenendes beschreiben werden: die feministische Band Pussy Riot gibt im Turm des Treibhauses ein berührendes, mitreißendes Konzert, bei dem sie von ihrem Kampf gegen das tyrannische russische Patriarchat mit Putin an der Spitze erzählen und für ein alternatives Russland einstehen. Der Saal ist bis auf den letzten Platz belegt und vor dem Treibhaus versuchen zahlreiche Fans noch vergeblich, Karten zu ergattern. Alle Erlöse des Abends gehen an ein Kinderkrankenhaus in Kiew.
Am Samstag geht es munter weiter, und nach vielen Gesprächen mit Besucher*innen beim Zeitlos-Stand schlüpfe ich nachmittags wieder selbst in die Besucherrolle: Zusammen mit einer Redakteurin des 20ers nehme ich an einem Networking-Event des Anti-Corruption Data Collectives in der Claudiana (4) teil, das sich auf den analytischen Teil der journalistischen Arbeit fokussiert hat. Im Auftrag von Mediengiganten wie dem ZDF legt es mit seinen Datenerhebungen und -analysen den Grundstein für einen wahrheitsgemäßen und geprüften Journalismus und erweitert so mein Blickfeld auf eine weitere neue Facette der Journalismuswelt. Auf die Frage, wie sie ihre erfolgreiche Nische gefunden haben, antworten sie schlichtweg „just try it out and trust your insticts – it’s not like something of this is impossible for you to achieve, you just have to be the first one to do it.”
In ihre Instinkte vertrauen auch die Musiker*innen des Kolektif Istanbul, die traditionelle anatolische Melodien mit Funk- und Jazzelementen verbinden und so ihre einzigartige Nische gefunden haben. Im Keller des Treibhauses geben die Virtuosen über zwei Stunden lang ihr Bestes. Mit ihren Instrumenten und euphorischen Akkorden ziehen sie das Publikum komplett in ihren Bann und verwandeln den Saal in einen andersweltlichen Raum der puren Euphorie. Die Läufe des Keyboards und der Trompete treiben die Tanzenden immer weiter, und kein Kopf bleibt still bei den Soli des Schlagzeugers. Die melancholischen türkischen Volkslieder ermöglichen uns eine kurze Verschnaufpause und erinnern an die einleitende Botschaft der Musiker*innen zur türkischen Präsidentschaftswahl am darauffolgenden Tag. Sie plädieren für eine freie Türkei unter einem neuen Präsidenten, für einen neuen Alltag in ihrer Heimat.
Am Sonntag dauert das Programm nur bis in den frühen Nachmittag, und unser Stand in der Maria-Theresien-Straße hindert mich daran, an den Beiträgen zum Rechtsruck in Italien oder dem Ibiza-Skandal teilzunehmen. Wir kochen uns Kaffee und lassen das Festival Revue passieren, und wir alle, die von der Zeitlos um unseren Stand versammelt sind, erzählen von unseren Erlebnissen auf dem Festival. Wir sind uns einig, wie unglaublich wertvoll so ein international renommiertes Festival für die Stadt ist, das Journalist*innen u.a. aus Polen, Berlin, Ukraine und Russland vereint und sie an ein gemeinsames Podium bringt und für einen freien Diskurs auf Augenhöhe einsteht. Das Journalismusfest Innsbruck gibt einer kulturellen Vielfalt an Menschen eine Stimme, über die aktuellen Entwicklungen unserer globalisierten Welt zu berichten und an erster Stelle stets für Pressefreiheit und objektive Berichterstattung einzustehen. Darüber hinaus motiviert uns enorm, dass das noch junge Festival zeigt, dass es mit durchdachter Planung und gelungenen Kooperationen auch heutzutage noch möglich ist, neue, renommierte Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Im Endeffekt bereuen wir nur eines: nicht genug Zeit und Versionen unseres Selbst gehabt zu haben, um an allem teilzunehmen.
Pius Hartmann, Studium der Anglistik/Amerikanistik, der Europäischen Ethnologie sowie des Wahlmoduls „Aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Kunst – Kultur – Management“
TKI - Tiroler Kulturinitiativen
Dreiheiligenstraße 21 a
c/o Die Bäckerei
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten:
MO-DO: 9 - 12 Uhr, DI: 14 - 16 Uhr
und nach Vereinbarung
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