Sammeln wird auf Wikipedia[1] als eine Tätigkeit beschrieben, welche die systematische Suche, die Beschaffung und Aufbewahrung von Gegenständen oder Informationen betrifft. Wenn diese kulturelle Praktik nicht nur systematisch, sondern auch institutionalisiert wird, dann wird vom institutionalisierten Sammeln gesprochen. Wir kennen das dann von Bibliotheken oder von Archiven. Diese Institutionen wiederum werden meistens von öffentlicher Hand finanziert, also von staatlicher Seite getragen.
In Österreich ist die Nationalbibliothek in Wien eine bedeutende institutionelle Sammlung. In Tirol gibt es das Landesarchiv, diverse Sammlungen im Landesmuseum Ferdinandeum oder jeweils die Gemeindearchive in den einzelnen Orten bzw. das Stadtarchiv Innsbruck. Jedes dieser Archive hat einen bestimmten Auftrag und einen Fokus. Dieser ist wiederum abhängig von politischen Verhältnissen oder von personalen Entscheidungsträger*innen, was in weiterer Folge bedeuten kann, dass nicht immer im gleichen Ausmaß gesammelt wird oder manche Inhalte gänzlich vergessen werden, etwa weil sie nicht als sammelwürdig angesehen werden. Archive sind daher immer auch ein Ausdruck von Macht- und Herrschaftsverhältnissen.
In den letzten Jahren wurden in Tirol allerdings neue Schwerpunkte gesetzt: 2016 gründete sich etwa das Dokumentationsarchiv für Migration Tirol, um Dinge zu sammeln, die im Zusammenhang mit der jüngeren Migrationsgeschichte Tirols stehen. Dieses Archiv hat es sich zum Auftrag gemacht, die Geschichten der Gastarbeiter*innen in Tirol festzuhalten. Ein weiteres bemerkenswertes Archiv ist das 2021 von der Initiative Minderheiten gegründete Jenisches Archiv.
Beide Beispiele zeigen, dass dort, wo staatliche Stellen „vergessen“ zu sammeln, private Initiativen die Dokumentationsarbeit übernehmen und sich für den Erhalt dieser Geschichte einsetzen und somit aktives Erinnern ermöglichen. Darin spiegelt sich wider, dass das Sammeln von Dingen und das Erhalten von Informationen eine politische Praxis ist. Diese Praxis wendet sich gegen das Vergessen und Unsichtbar-Machen von Ereignissen.
Eine weitere Initiative, die sich ganz dem Sammeln und Archivieren verschrieben hat, ist das Subkulturarchiv Innsbruck. Der Trägerverein ist Archive-IT. Bereits im Namen ist schon die Aufforderung zum Archivieren enthalten. Das IT kann doppeldeutig gelesen werden, sowohl als Imperativ „sammle es” als auch als Abkürzung für Innsbruck und Tirol.
ARCHIVE-IT versteht sich als Sammel- und Rechercheort zur Alternativ-, Sub- und Gegenkultur Innsbrucks und auch darüber hinaus. Dabei geht es nicht nur um die Praxis des Sammelns, sondern das eigentliche Ziel ist die Errichtung eines Onlinearchivs, damit jeder über sein Endgerät darauf zugreifen kann und so sieht, was gesammelt wird, was vorhanden ist und auch mögliche Leerstellen ersichtlich sind, damit diese gegebenenfalls ergänzt werden können.
Die Idee des Archivs kam bereits 2012 auf, als die beiden Initiatoren Albi Dornauer und ich, Maurice Kumar, während eigener Recherchetätigkeiten ins Gespräch kamen und feststellten, dass es gut und wichtig wäre, lokale Szenen und Subkultur an einem Ort für alle interessierten Menschen sichtbar zu machen. Ebenso von dieser Idee angetan ist der Dritte im Bunde, Elmar Schaber. Doch erst 2014 startete das Archiv, als im Rahmen der Innsbrucker stadt_potenziale die Errichtung eines Subkulturarchivs von einer Jury ausgewählt und mit einer einmaligen Projektförderung von 10.000 Euro finanziert wurde. Ab diesem Zeitpunkt begann auch der interne Prozess: Was sammeln wir eigentlich und was nicht? Sprich, welche Dinge und Gegenstände sammeln wir, und sammeln wir auch – was gegenwärtig immer mehr die Archive beschäftigt – digitale Daten? Damit einher geht auch die Frage: Was ist Subkultur, und was nicht? Ist das Konzept von Subkultur stimmig für unser Vorhaben? Dazu finden sich auf unserer Website Auseinandersetzungen, die ich hier auszugsweise zitiere:
„Unser Fokus liegt (vorerst) auf Orten, Zeitungen, Vereinen, Initiativen und Musiker_innen, die die Innsbrucker Zustände nicht einfach so hinnehmen, sondern diese aktiv ändern wollten, um eine Alternative zur alltäglichen Realität zu schaffen. Wie die einzelnen Ergebnisse schlussendlich kategorisiert werden – als Sub-, Gegen- oder Popkultur – ist uns nicht so wichtig wie die Dokumentation jener Ereignisse und Menschen, die eine andere Geschichte der Stadt Innsbruck ermöglichen.”[2]
Im letzten Satz steckt viel drin, wie wir unsere Herangehensweise verstehen. Wir sammeln und dokumentieren Ereignisse, die ein anderes Innsbruck ermöglicht haben. Aber was ist nun anders? Auch wenn es an dieser Stelle nicht dezidiert ausgesprochen ist, bringen wir unseren Sammelschwerpunkt mit Begriffen wie emanzipatorisch und für eine offene Gesellschaft stehend in Verbindung. In einem weiteren Absatz wird unser Zugang noch deutlicher beschrieben:
„Unser Ziel ist eine andere Geschichte der Stadt Innsbruck darzustellen, die nicht unterhalb oder abseits der „wahren“ Geschichte passierte, sondern jene Szenen und Orte, die das heutige Innsbruck stark mitgeprägt haben, festzuhalten. Dank dem Engagement von zahlreichen Personen und Initiativen hat sich eine durchaus beachtliche Szene entwickelt, die den Zustand der Provinz nicht einfach hinnehmen, sondern aktiv ändern wollte und immer noch tut.”[3]
Im Prinzip orientieren wir uns mehr oder weniger an folgenden Leitlinien: Abgebildet wird die Geschichte, die nicht dokumentiert wurde und somit abseits der herrschenden Geschichtsschreibung steht, und jene Geschichten, die sich für eine offene und lebenswerte Stadt eingesetzt haben, direkt oder indirekt. Intern sprechen wir inzwischen lieber vom Subarchiv statt vom Subkulturarchiv.
Die Vereinsarbeit ist größtenteils ehrenamtliche Arbeit, die sich durch das Sichten von Material, das Digitalisieren und Dokumentieren von Gesammeltem auszeichnet. In Kooperation mit dem Stadtarchiv Innsbruck haben wir einen Raum, sozusagen unser Archiv, das sich in der Feldstraße hinter dem Westbahnhof befindet. Nun zur entscheidenden Frage: „Wie kommen wir zu den Archivarschätzen?“ Wir recherchieren selbst, schreiben Menschen an und Personen kontaktieren uns.
Dabei sammeln wir Verschiedenes. Neben haptischen Dingen wie Flyern, Plakaten, Platten, Kassetten, Magnetbändern, Fotos, Zeitungsartikeln ist es uns auch wichtig – und das unterscheidet uns von einem klassischen Archiv – sich mit den Personen zu treffen, um sie zu interviewen. Dabei geht es uns darum, dass das Wissen dieser Menschen nicht verloren geht, aber auch darum, die Dinge, die wir bekommen, mit den persönlichen Erlebnissen der Menschen zu kontextualisieren. Es kann sich jeder bei uns melden, z. B. über unsere Mailadresse, die sich auf unserer Website www.subkulturarchiv.at befindet.
Die Website ist nur ein kleiner Ausschnitt unseres digitalisierten Materials. Daneben gibt es noch mehr an haptischen Dingen, die auf ihre subkulturelle Einordnung noch warten. Außerdem laden wir interessierte Menschen dazu ein, sich bei uns zu melden und sich an der Archivarbeit zu beteiligen. Falls jemand das Gefühl hat, dass wichtige Perspektiven fehlen, Menschen, Orte, Bands oder Sonstiges nicht erwähnt sind, etwas nicht richtig dargestellt ist oder eine Person es einfach besser weiß, laden wir ebenso dazu ein, sich bei uns zu melden.
Übrigens, neben dem Sammeln gibt es noch weitere Tätigkeitsfelder, die wir als Subkulturarchiv machen oder an welchen wir beteiligt sind. Im Moment beschäftigen wir uns im Hintergrund mit Datenbanklösungen, aber viel spannender sind wohl unsere Veranstaltungen. Durch diese haben wir die Möglichkeit, mit unseren Sammlungen und Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen, wie zum Beispiel die Ausstellung 2017 „Wir/Hier – die sogenannte Subkultur“ im Stadtmuseum/Stadtarchiv. Damals haben wir in Zusammenarbeit mit der Architektin Teresa Stillebacher einen Querschnitt unserer Sammlung an die Öffentlichkeit gebracht.
Außerdem gibt es Lectures oder Stadtspaziergänge, wo wir von Zeit zu Zeit einen Einblick in die subkulturelle Geschichte der Stadt Innsbruck ermöglichen. Die nächsten zwei finden am 25. Mai 2024 in Kooperation mit dem Stadtarchiv Innsbruck statt und am 8. Juni im Rahmen der Architekturtage. Daneben werden wir ebenso für Vorträge und Beiträge eingeladen, in denen wir von unserer Arbeit oder zu speziellen kulturellen Ereignissen berichten. Was für uns aber wohl das Schönste und auch das Wichtigste ist, ist, wenn wir kontaktiert werden, weil Menschen selbst zu Subkultur forschen und arbeiten und sie dafür auf unser gesammeltes Material zurückgreifen können.
Maurice Munisch Kumar // www.subkulturachiv.at
[1] vgl. www.de.wikipedia.org/wiki/Sammeln Letzter Zugriff: 3.4.2024
[2] Infos zum Subkulturarchiv. Online unter https://subkulturarchiv.at/archivinfo.php Letzter Zugriff: 30.3.2024
[3] ebd.
TKI - Tiroler Kulturinitiativen
Dreiheiligenstraße 21 a
c/o Die Bäckerei
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten:
MO-DO: 9 - 12 Uhr, DI: 14 - 16 Uhr
und nach Vereinbarung
Der TKI-Newsletter informiert einmal monatlich über Veranstaltungen, Aktivitäten und neue Mitglieder der TKI, über kulturpolitische Themen sowie über Ausschreibung und ausgewählte Projekte der Förderschiene TKI open. Er enthält außerdem Ausschreibungen und Jobs im Kulturbereich und Literaturtipps aus der TKI-Bibliothek.
Mit Ihrer Anmeldung erlauben Sie uns, Ihnen regelmäßig unseren Newsletter an die genannte E-Mail-Adresse zu senden. Sobald Sie sich für den Newsletter angemeldet haben, senden wir Ihnen ein E-Mail, in dem Sie um die Bestätigung Ihrer Anmeldung gebeten werden. Die von Ihnen angegebenen Daten werden ausschließlich für diesen Zweck verwendet. Die Einwilligung zur Speicherung Ihrer persönlichen Daten und ihrer Nutzung für den Newsletterversand können Sie jederzeit widerrufen. In jedem Newsletter findet sich dazu ein entsprechender Link. Hier können Sie unsere Datenschutzerklärung nachlesen.