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Heart of Noise Tag 2: Ein mystischer Freitagabend

Heart of Noise Tag 2: Ein mystischer Freitagabend

verfasst von Helena Hantelmann
Beitrag vom 20.09.2023
Bild: Daniel Jarosch

Lehrveranstaltung: Kulturinitiativen in Tirol

Im Sommersemester 2023 haben Andrea Perfler und Helene Schnitzer an der Uni Innsbruck eine Lehrveranstaltung zum Thema „Kulturinitiativen in Tirol“ gehalten. Unser Anliegen war es, den Student*innen Grundkenntnisse über das Feld der Kulturinitiativen zu vermitteln, ihnen einen Einblick in die Arbeitsweisen und Rahmenbedingungen der freien Kulturarbeit zu geben und sie für kulturpolitische Fragestellungen zu sensibilisieren. Für den Abschluss der LV mussten die Student*innen einen Blogbeitrag über eine Kulturinitiative in Tirol oder ein kulturpolitisches Thema nach Wahl schreiben. Einen Teil der Texte präsentieren wir hier auf der TKI-Webseite.

Heart of Noise Tag 2: Ein mystischer Freitagabend

verfasst von Helena Hantelmann

Das Innsbrucker HEART OF NOISE-Festival nimmt die Stadt – im Spannungsfeld von alpinsportlichem Fokus und Urbanität – als Ort für eine Veranstaltung, die sich neben dem Mainstream befindet und Ambivalenzen fruchtbar macht. Seit 2011 wird es jährlich vom gleichnamigen Verein organisiert.
Vier Tage lang geht es beim Heart of Noise Festival um junge Kunst und junge Musikkultur, Medienkunst und digitale Kunst, VJ – Kunst und DJ – Culture, sprich um den musikalischen und künstlerischen Kosmos, der sich um die neuen und allerneuesten relevanten kulturellen Strömungen entfaltet.

Ich hatte die Gelegenheit, mich durch den zweiten Festivaltag im Treibhaus – zuerst im Turm, später im Keller und zwischendurch immer wieder für Tschick und Weißsauer im Hof – treiben zu lassen.

Früher noch das „Festival der allerneusten Musik“ genannt, beschränkt sich das HEART OF NOISE mittlerweile auf den Slogan „Pop Life“ und meint damit eine Mischung aus Performance und Installation, Tanzbarkeit und Klangteppich, Denken und Fühlen, Zuhören und Teilhaben. „Pop Life“ aus den Zwischenräumen von Subkulturen, in denen Veränderung gelebt wird. „Pop Life“, denn das HEART OF NOISE ist nicht nur seine Shows, sondern alles, was drumherum passiert und erlebt wird.

So ist dieses Jahr auch ein Tempel aus Müll, der im Treibhaus-Innenhof steht, Teil des Festivals. Ein Gebilde wie ein Baugerüst, die Metallstangen ummantelt von grau-silberglänzender Verzierung und eimerförmig einbetoniertem Müll, ihre Anordnung den Säulenordnungen antiker griechischer Tempel ähnelnd. Der Boden des Ganzen ist leicht angeschrägt und besteht aus weiß angestrichenen Türen, die von dem Licht der Röhrenlampen im Dach rosalila gefärbt werden. In den Boden integriert ist außerdem eine Autotür, vielleicht von einem schwarzen VW Golf, und ein Loch, in dem sich ein Trampolin befindet. Im Hintergrund angebracht sind vier konvexe Spiegel, wie sie sonst an unübersichtlichen Straßenecken hängen. Darin sehe ich mich und meine Begleitung – die Betrachterinnen – sowie die auf den Türen Sitzenden und die im Trampolinloch Hüpfenden. Gemeinsam erfahren wir diesen einladenden Mülltempel. Er wird den Abend über unsere Basis sein; zum Sinnieren und Durchatmen zwischen den Konzerten. An der Vorderseite wird das Gebilde von einem seitlich liegenden Klavier begrenzt. Ich denke, jemensch spielt darauf und merke, dass die sporadisch erklingenden Klaviertöne jedoch aus Lautsprechern kommen, die in die Müllsäulen integriert sind. „Wenn Abfall Materie am falschen Ort ist, bringen wir ihn doch woanders hin“, steht unter anderem auf der Infotafel zu dieser Struktur und erklärt damit das Konzept einer Deponie, die ein Neuanfang sein kann, und die Intention des Objekts, auf unsere Wegwerfkultur aufmerksam zu machen. Errichtet und konzipiert wurde die Konstruktion mit dem Titel what a waste von ./studio3 des Instituts für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck. Damit haben die Studierenden einen Beitrag zum Festival geleistet, der nicht nur zum kontemplativen Genuss einlädt, sondern zwischen den vielfältigen Auftritten durch seine Beständigkeit auch Sicherheit bietet.

Foto: Daniel Jarosch

Das diesjährige Motto des Festivals lautet WAR IS STUPID. Auf nahezu keiner Werbegrafik war der Festivaltitel ohne diesen Zusatz zu lesen. WAR IS STUPID, ein Satz, mit dem durch seine Simplizität viele mitgehen können. WAR IS STUPID, das klingt beinahe hilflos. WAR IS STUPID, deshalb möchte zumindest das HEART OF NOISE ein Raum sein, in dem sich gegenseitig zugehört wird, in dem voneinander gelernt werden kann, in dem es uns miteinander gut geht.

Wir steigen ein in den Abend mit Cucina Povera & Ben Vince. Die meisten Zuhörer:innen sitzen, manche liegen am Boden, während Cucina Povera uns mit Gesang versorgt, der mich an Gottesdienst erinnert. Der Bühnennebel ist unser Weihrauch. Ben Vince spielt Saxophon und ich denke „wo kommen die Geigen her.“ Es ist heiß, der Raum des Treibhausturms ist wie eine Blase, ich denke „niemensch außerhalb ahnt, was hier gerade passiert.“ Der Körper der Sängerin wirkt ganz passiv, er ist ein Instrument wie das Saxophon. Der Gesang wird auch geloopt wie es. Alles ist langsam, wir werden weggetragen von den Klängen, allmählich kommt beinahe unbemerkt ein Rhythmus wie ein sehr langsamer Puls hinzu und dann eine ungewohnt lange Pause vor dem nächsten Stück. Ich verliere mein Zeitgefühl. Im Anschluss trinken wir einen Espresso an der Bar.

Danach hören wir Hüma Utku, im Programm als „Istanbuler und Wahlberliner Psychonautin“ beschrieben. Wir stehen im Turm oberhalb und können beobachten, wie das Publikum ihre Klänge aufnimmt und mitgeht; alle stehen jetzt und wirken fast wie gesteuert von der Musik. Die ganze Zeit hindurch muss ich denken „wow sie ist so stark.“ Hüma Utku steht hinter ihren Decks und scheint die Sounds ihrer Seele zu entnehmen. Es sind komplexe Klänge, tiefgehend und tiefgründig, mit feinen Übergängen und düsterer, faszinierender, einlullender Stimmung. Und dann ballert sie uns Beats entgegen, die ich in den Knochen spüre und vermisse, wenn sie wieder abebben. Ein bisschen empowernd, ein bisschen sexy, ein bisschen elektrisierend.

Zu Boris schauen wir nur kurz herein. Die recht düstere und irritierend langsame Metal-Mukke, sporadisch geschmückt von verzerrten Gitarren und dem für das Genre obligatorische Geschrei hält uns nicht so fest, als dass wir länger wählen würden, neben unserem unangenehmen Stehnachbarn auszuharren, der uns fragt, ob uns sein Alter von 42 Jahren zu hoch sei.

Die Pause, die wir dadurch bekommen, tut gut zwischen den bisher unmittelbar aufeinanderfolgenden Auftritten. So landen wir ausgeruht im Keller bei Mark Ernestus Ndagga Rhythm Force, bei der die Füße nicht stillhalten können. Die Gruppe besteht aus vier Menschen an Trommeln, einem an den Keys und einer Sängerin. Sie sind laut, unglaublich ausdauernd und dulden kein anderes Publikum als ein durchweg tanzendes und aufmerksames. Ich bin fasziniert von der Energie der Gruppe und der Freude, die sie beim Musizieren zu haben scheint. Ihre Stimmung springt auf mich über – ich habe das Gefühl, der Raum feiert gerade eine ausgelassene Party. Diese Feier geht lang und so fängt auch Italo Brutalo später als zu den geplanten 01:30 an. Der DJ gibt dem Abend einen runden Schluss – seine Beats sind klar und simpel, haben genug Kraft, um mich wach zu halten und tragen uns weiter, ob in die Bögen oder doch ins Bett. Neben dem wiederholt eingespielten „I-I-I-I-Italo Bru-Brutalo“, das mich nicht vergessen lässt, wem ich gerade zuhöre, erkennt mein ungeschultes Ohr keine italienischen Discoanleihen, wie es das Programmheft eigentlich sagt. Ballert aber trotzdem.

 

Helena Hantelmann, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft

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